Zwischen Blut und Bild eine stille Revolution. Lange Zeit galt der weibliche Zyklus in der Öffentlichkeit als Tabu. Menstruation wurde versteckt, verschwiegen, pathologisiert – als etwas Unreines, Schwaches, gar Ekelhaftes. Doch seit einigen Jahren regt sich Widerstand: Künstlerinnen weltweit holen das Zyklische aus der Schamzone heraus und machen es sichtbar – in Performances, Gemälden, Installationen und Texten. Kunst wird zur Bühne für eine stille, aber kraftvolle Revolution: die Rückeroberung des weiblichen Körpers.
Zyklus als Rhythmus des Lebens. Der Zyklus ist mehr als nur das monatliche Bluten. Er ist ein biologischer Taktgeber, der viele Ebenen berührt: körperlich, emotional, kreativ. Die Phasen Menstruation, Follikelphase, Eisprung, Lutealphase wirken wie ein innerer Kalender, der mit- und gegensätzlich zur Welt draußen pulsiert. Für viele Künstlerinnen wird dieser Rhythmus zur Quelle der Inspiration und zur Struktur für ihr Arbeiten.
Die amerikanische Autorin und Aktivistin Alexandra Pope spricht vom „inneren Jahreszeitenprinzip“, das sich im Zyklus widerspiegelt: Winter (Menstruation), Frühling (Follikelphase), Sommer (Eisprung), Herbst (Lutealphase). Diese Perspektive lädt ein, zyklisches Erleben nicht als Schwankung oder Störung zu sehen, sondern als kreative Ressource. In der Kunst bedeutet das: Rückzug, Vision, Ausdruck, Reflexion alles hat seinen Platz.
Blut als Material Provokation oder Befreiung?
Besonders kontrovers ist die Verwendung von Menstruationsblut als künstlerisches Medium. Die kanadische Künstlerin Rupi Kaur sorgte 2015 für internationale Aufmerksamkeit, als Instagram ein Foto von ihr löschte, das sie mit einem sichtbaren Blutfleck auf ihrer Hose zeigte. Ihre Antwort war klar: „Ich werde nicht akzeptieren, dass ich mich für etwas schämen soll, das natürlich ist.“
Andere Künstlerinnen wie Vanessa Tiegs („Menstrala“) oder Jen Lewis („Beauty in Blood“) arbeiten explizit mit dem Medium Blut nicht schockierend, sondern ästhetisch, abstrakt, beinahe meditativ. Ihre Werke zwingen die Betrachtenden, sich mit dem auseinanderzusetzen, was sonst unsichtbar bleibt und werfen Fragen auf: Wer bestimmt, was schön ist? Was darf Körper sein? Und: Warum gilt das Natürliche als anstößig?
Zyklusbewusstsein als künstlerische Praxis
Zahlreiche zeitgenössische Künstlerinnen orientieren ihren kreativen Prozess am Zyklus. Sie dokumentieren die eigenen Empfindungen, Energielevels, Themen. In der Phase des Eisprungs entstehen häufig extrovertierte Arbeiten Performances, Begegnungen, Ausstellungen. In der prämenstruellen Phase fließen Reflexion, Kritik, Tiefe in Texte oder Zeichnungen. Dieses zyklische Arbeiten stellt das lineare Leistungsprinzip der Kunstwelt infrage und damit auch das kapitalistische Zeitverständnis.
Die zyklische Perspektive wird so zur politischen Geste: Sie widersetzt sich dem Dauerproduktivitätsdruck, der immer gleiche Qualität und Output verlangt. Stattdessen: Pausen, Wandlung, Wiederholung Prinzipien, die auch in der Natur gelten, aber in unserer Gesellschaft kaum Platz haben.
Zyklus, Identität, Widerstand
Der künstlerische Umgang mit dem Zyklus ist oft nicht nur intim, sondern auch politisch. Er berührt Fragen von Gender, Körperhoheit, gesellschaftlicher Erwartung. In einer Welt, die zunehmend technisiert, neutralisiert und „optimiert“ wird, wirkt der menstruierende Körper wie ein Störsignal. Und genau das macht ihn in der Kunst so relevant.
Besonders in queeren und feministischen Kontexten wird der Zyklus nicht mehr nur biologisch gedacht, sondern als Identitätsmoment: Wer darf bluten? Wer darf darüber sprechen? Wer wird ausgeschlossen trans Personen, nichtbinäre Menschen, Frauen in der Menopause?
Diese Perspektiven finden ihren Weg in Textilkunst, Virtual Reality-Projekte, Comics, Klanginstallationen. Die Vielfalt der Ausdrucksformen zeigt: Zyklisches Erleben ist kein Nischenthema – es ist ein kulturelles Terrain, das noch lange nicht ausgeschöpft ist.
Der Zyklus als künstlerische Landkarte
Kunst hat die Kraft, Unsichtbares sichtbar zu machen. Der weibliche Zyklus ist ein jahrhundertelang übersehenes Thema, das nun eine Bühne findet roh, poetisch, politisch. Die Künstlerinnen, die sich ihm widmen, öffnen Räume für neue Narrative des Körpers, jenseits von Scham und Stereotyp. Ihre Arbeiten laden dazu ein, den Zyklus nicht nur als biologisches Ereignis zu sehen sondern als ästhetische, kreative, gesellschaftliche Kraft.
Menstruationskunst im Wandel der Jahrzehnte
Künstlerische Positionen zum weiblichen Zyklus von den 1960ern bis heute
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1969 – Carolee Schneemann (USA):
Mit der Performance „Interior Scroll“ wird Schneemann zur Ikone der feministischen Körperkunst. Sie zieht eine Schriftrolle aus ihrer Vagina – eine provokante Geste gegen männlich dominierte Kunstsysteme. -
1972 – Judy Chicago (USA):
Mit der Fotografie „Red Flag“ zeigt sie einen Tampon, der blutig hervorgezogen wird – ein Akt der Sichtbarmachung und ein feministisches Statement. -
1991 – Annie Sprinkle (USA):
Performerin und Aktivistin, die mit „Public Cervix Announcement“ erstmals eine Live-Untersuchung ihres Gebärmutterhalses als Performancekunst inszeniert. -
2003 – Petra Mattheis (Deutschland):
Start der Serie „Bloody Maria“, in der sie Druckgrafiken zu jedem Zyklustag erstellt. Zyklus wird zum künstlerischen Ordnungsprinzip. -
2008 – Vanessa Tiegs (USA):
Mit ihrer Werkreihe „Menstrala“ nutzt sie ihr eigenes Menstruationsblut als Medium für symmetrische, abstrakte Bildkompositionen. -
2010 – Jen Lewis (USA):
In „Beauty in Blood“ fotografiert sie ihr Blut in Wasser – hochästhetisch und grafisch. Ihre Arbeit bricht mit Ekel und Tabu. -
2015 – Rupi Kaur (Kanada):
Ihr Bild mit einem sichtbaren Blutfleck wird von Instagram entfernt – und löst eine weltweite Debatte über Zensur und Scham aus. Kaur wird zur Stimme einer neuen feministischen Generation. -
2016 – Ingrid Berthon-Moine (Frankreich/UK):
In „Red is the Colour“ stellt sie Porträts mit Lippenstift aus Menstruationsblut her – eine kritische Reflexion über Schönheitsideale und Körperflüssigkeiten. -
2020 – Milo Moiré (Schweiz):
Ihre Performance „PlopEgg“, bei der sie farbgefüllte Eier aus der Vagina auf Leinwand fallen lässt, thematisiert Fruchtbarkeit, Schöpfung und Kontrolle über den weiblichen Körper. -
2024 – Digitale Künstler:innen weltweit:
Menstruation und zyklisches Denken finden Eingang in NFTs, VR-Installationen und TikTok-Formate. Die neue Generation bricht die letzte Grenze: die digitale Sichtbarkeit.